Fine Crime Award 2024 für Ellen Dunne
Verleihung am 13. Juni im Rahmen des Fine Crime Festivals in Graz
Laudatio von Fine Crime Award Winner 2023 Bernhard Aichner – Autor:
„Es gab da mal eine Polizistin, die arbeitete für die Kripo in München. Eine mit Vorliebe für die harten Sachen. K11, vorsätzliche Tötungsdelikte. Ihr Kollege, den sie schon seit der Polizeischule kannte, nannte sie oft Die Frau der Stunde. Weil sie ganz vorn dabei war bei der Aufklärungsquote. Weil sie Instinkt hatte. Weil sie die richtigen Fragen stellte. Weil sie vom irischen Dad das Mundwerk und von der Freilassinger Mama den Killerinstinkt geerbt hatte.“
So stellt uns Ellen Dunne ihre Protagonistin Patsy Logan vor – jedenfalls jene Patsy, die es früher einmal gab. Bevor sie übergangen wurde bei einer Beförderung, die ihr zustand. Bevor ihre Ehe in die Krise schlitterte – Patsys Mann wird sie für eine Ältere verlassen – und Patsy zu ihrer Cousine in Dublin flieht, um Abstand von ihrem Leben und sich selbst zu gewinnen. Ausgerechnet nach Dublin, an den Ort, an dem der Vater sich vor vielen Jahren in die Irische See gestürzt hat.
Dort kämpft Patsy nun um einen Neustart, sucht nach dem Reset-Knopf, strauchelt. Die Frau der Stunde von damals wäre nicht erfreut über solche Durchhänger. Fast 40 bist du und fast geschieden, dröhnt sie in Patsys Kopf. Ach ja, und kinderlos. Und Patsy? Die klärt die Frau der Stunde über ihr Recht zu schweigen auf.
Was Patsy nach wie vor mit der Frau der Stunde gemein hat, ist der Gerechtigkeitssinn, der sie immer wieder dazu bringt, zu ermitteln, auch wenn sie beruflich gerade in Auszeit ist. Die Methoden sind unlauterer geworden, aber der Drive ist noch da: Wo Menschen in Not sind, muss Patsy handeln. Im aktuellsten Fall „Unfollow Stella“ beispielsweise sucht sie nach einer jungen Frau, die als Content Moderatorin tätig war und plötzlich verschwunden scheint – und taucht immer tiefer ein in eine Online-Welt, die geprägt ist von einer Gewalt und einer Grausamkeit, die sich nicht nur virtuell, sondern ganz real auswirken.
Und so eilt Patsy durch die Straßen vom Dublin – und immer wieder, wenn sie einen klaren Kopf braucht, auch ans Meer, um einzutauchen, abzutauchen. Die Frau der Stunde ist auch davon not amused. Sie selbst hat sich nämlich immer tunlichst ferngehalten von der Irischen See.
„Zu viel Unberechenbares unter ihrer glatten, stahlgrauen Oberfläche. Zu viele Untiefen und Strömungen. Zu viele schlechte Erinnerungen an ihren Dad.“
Aber gibt da eine Polizistin, eine Frau, die nicht stehenbleibt, sondern sich konsequent weiterentwickelt, auch, wenn ihre innere Stimme es ihr manchmal anders rät. Und es gibt da eine Autorin, die hat irgendwann ihre Koffer gepackt und ist ausgewandert. Weil sie sich nicht fürchtet vor der Irischen See, vor den Untiefen und den Strömungen, vor dem Ungewissen. Sie hat auch keine Angst davor, hinzuschauen, wo es unschön ist. Wo es wehtut. Auf Bruchstellen der Gesellschaft, auf ausbeuterische Strukturen, auf gläserne Decken, auf Korruption, auf Habgier, auf psychische Krisen, auf das Leben abseits vom fröhlichen Mutter-Vater-Kind-Idealbild. Eine Autorin mit einer Stimme, die trotz diesem genauen Hinsehen immer eine feine Ironie, stellenweise auch Zynismus, in sich trägt. Die Sätze schreibt, die so geschliffen scharf sind, dass sie sich einschneiden in unsere Erinnerung.
Diese Autorin ist Ellen Dunne. Und sie ist heute die Frau der Stunde.