Unfollow Stella
Der vierte Fall von Patsy Logan
Follower oder Verfolger? Patsy Logans Leben steht still. Beruflich wie privat zwischen allen Stühlen, sucht sie nach dem Knopf für ihren Neustart. Und bald auch nach einer Vermissten: Die junge Wienerin Stella Schatz, die seit einiger Zeit in Dublin lebt, ist verschwunden. Gemeinsam mit Sam Feurstein von der österreichischen Botschaft folgt Patsy den Spuren von Content-Moderatorin Stella – online und offline. Hat Stella im Zuge ihrer Arbeit im Netz etwas gesehen, das nicht für ihre Augen bestimmt war?
Leseprobe
Auf den ersten Blick ist das Mädchen auf dem Laptopbildschirm um die 18. Auf den zweiten Blick ist sie 13, vielleicht auch ein femininer Junge. Zwei zu einem X überkreuzte schwarze Klebestreifen ersetzen ein Oberteil und verdecken die kaum entwickelten Brustknospen. Schmale Hüften in goldenen Hotpants wiegen sich zum Reggaeton Beat, der vor ein paar Wochen viral ging. Das Make-up ist dick aufgetragen, künstliche Wimpernkränze flattern, Lippen spitzen sich. Noch 28 Sekunden bis zum Target.
Ihr Twerking ist ungelenk, die Laszivität bemüht.
Falsch. Sie lächelt, und es sieht aus wie eine verrutschende Maske. Dahinter – Angst? Gefallsucht? Verachtung? Nicht mehr auszumachen. Die Kamera entfernt sich vom Bildschirm und wechselt in die Totale.
Noch 23 Sekunden.
Der Laptop steht auf einem Schreibtisch direkt vor einem zweiteiligen Fenster mit Oberlicht, durch das die Nacht hereinstarrt wie ein Voyeur. Nur der Bildschirm spendet Licht in wechselnden Schattierungen. Kurz spiegelt sich die filmende Person in der Scheibe, ein geisterhaftes, konzentriertes Gesicht ohne sofort erkennbares Geschlecht. Der Rest ein Schatten in Schwarz, der zur Seite tritt, bevor sich die Kamera endgültig vom Laptop ab- und einer zweiten Person zuwendet, die am Boden kniet, die Hände hinter dem Rücken. Über dem Kopf eine Kapuze, oder ein schwarzer Plastiksack, schwer zu sagen im Gegenlicht. Ein Verurteilter.
Der Reggaeton stampft noch lauter, nicht mehr aus dem Laptop, sondern aus unsichtbaren Boxen im Raum.
Noch 14 Sekunden bis zum Target.
Der Kopf des Verurteilten, höchstwahrscheinlich ein Mann, dreht sich mal hin, mal her, als wolle er sich orientieren, oder mit jemandem außerhalb des Bildes sprechen, aber da fallen sie schon über ihn her. Gestalten in Schwarz, vielleicht drei, nein, doch zwei. Sie schlagen, sie zerren, sie treten den Verurteilten unter dem mitleidlosen Auge der Kamera, während sich der Beat mit dumpfen, gerade noch als menschlich erkennbaren Lauten mischt. Ein Mensch wird zum Sandsack, bis er in sich zusammenfällt und krampfhaft zu den Füßen der Gestalten zuckt, die jetzt scheinbar von ihm ablassen und sich zum Gehen wenden. Da holt einer von ihnen noch einmal aus wie für einen Elfmeter, ein richtiger Hammerschuss wird das, aber anstatt eines Balles liegt da der Kopf des Verurteilten und – die Kamera schwenkt zurück auf den Laptopbildschirm. Er ist schwarz.
Target um 12 Sekunden überschritten.