Ferdinand v. Schirach: Schuld
Kurzzusammenfassung:
Nach seinem „bestsellenden“ Erstling Verbrechen legt Ferdinand v. Schirach auch im Nachfolgeband eine Sammlung literarisch aufbereiteter Gerichtsfälle vor. Es geht um Mord, Vergewaltigung, Folter, Missbrauch und andere Formen von Schuld, ihren Hintergründen und um die Tragik, die aus dem Spannungsfeld von Recht vs. Gerechtigkeit entsteht.
Meine Meinung:
Wer meinen ersten Roman kennt weiß, dass ich besonderes Interesse daran habe, wie ganz normale Menschen zu Verbrechern, Mördern, Denunzianten werden können. Ferdinand von Schirach schlägt hier genau in meine persönliche Kerbe. In den Erzählungen geht es nicht um pathologische Serienmörder. Kein Showdown, kein Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei. Dafür eine Menge Menschen, die zwar keine geborenen Mörder sind, doch trotzdem eine oft furchtbare Schuld auf sich geladen haben. Aus der Not heraus, aus Angst, als Kurzschlussreaktion, als Explosion nach einem langen persönlichen Leidensweg. Doch oft ist der Leser dem Unerklärbaren hinter den Taten ausgesetzt. Genau dieses Unerklärbare, das Familienväter zu Vergewaltigern macht, Schüler zu Folterknechten und Kinder zu Mobbern macht hilflos – die Justiz, die Gesellschaft, den Leser.
Schon in Verbrechen hat mich Ferdinand v. Schirachs schmerzhaft nüchterner, reportagenartiger Erzählstil sehr beeindruckt. Er hält sich streng im Hintergrund, kein Wort der Wertung oder emotioneller Aufladung steht zwischen dem Leser und den Ereignissen, die sich so oder so ähnlich abgespielt haben. Gerade dieser scheinbar unbeteiligte Berichtston verleiht den menschlichen Tragödien, die sich im Laufe der einzelnen Fälle entfalten, so viel Wucht und Tiefe. Unser eigener Kopf ist Regisseur in diesen Dramen. Deshalb ist „Schuld“ eine faszinierende, wichtige, einfach zu lesende, aber beileibe keine leichte Lektüre.
Fazit:
Lakonisch, knapp und reduziert auf das Wesentliche – menschliche Tragödien und ihre Hintergründe. Unbedingte Empfehlung aber nichts für empfindliche Gemüter.